Keine Grenzen für Klicks

Eigentlich wirkt das Video so surreal, dass man fast an seiner Echtheit zweifeln möchte. Im März 2025 reist Sam Jones – US-Amerikanerin, Influencerin sowie selbst ernannte „Outdoor-Enthusiastin und Jägerin“ – nach Australien. Auf der Suche nach guten Bildmotiven stößt sie an einer Landstraße auf eine Wombat-Mutter und ihr Baby. Sie beginnt zu filmen und löst damit jedoch statt Likes einen Shitstorm aus: Auf dem Video sieht man, wie sie das strampelnde Jungtier von seiner Mutter wegreißt und damit zu ihrem SUV läuft, die Mutter ist ihr auf den Fersen. Am Auto hält sie das Tier wie eine Trophäe vor die Kamera, danach setzt sie es am Straßenrand ab.
Ihr grenzenloses Verhalten bleibt nicht ohne Konsequenzen: Australische Regierungsmitglieder äußern sich entsetzt; das Innenministerium kündigt an, ihre Visa-Bedingungen zu überprüfen. Wombats sind eine geschützte Beuteltierart, die nur in Australien vorkommt. Der Druck auf Sam Jones ist schließlich so hoch, dass sie fluchtartig das Land verlässt und das Video von ihrem Account löscht – im Netz kursiert es jedoch weiterhin. Ein Ausnahmefall? Leider nein.
Schlechte Nachricht aus Grevenbroich
Sowohl in Deutschland als auch weltweit gibt es immer wieder Influencer, die bei der Jagd nach einem guten Foto jeglichen Respekt vor Tier und Natur verlieren. So auch in Grevenbroich am beschaulichen Niederrhein. Im Mai machte die Tierschützerin Coco Freudenberg auf Sat1 darauf aufmerksam, dass jedes Jahr im Frühjahr vermehrt Tiere in der Region sterben. Dort liegen nämlich einige spektakuläre Tulpenfelder, die als Fotomotiv, vor allem bei Touristen und Influencern, heiß begehrt sind.
In und bei den Feldern leben jedoch auch Hasen, Vögel, Rehe – und ihr Nachwuchs. Im März beginnt ihre Brut- und Setzzeit, in der sie viel Ruhe brauchen. Viele Foto-Touristen verspüren jedoch offenbar den Wunsch, die Jungen, insbesondere Hasenjungen, zu streicheln – mit bösen Folgen. Denn danach werden diese von ihren Müttern verstoßen und verhungern. Rehe wiederum sind extrem scheu und halten lieber Abstand zu Menschen. Kommen diese jedoch in großer Zahl in ihre Nähe, sind sie gestresst; u. a. wurden häufiger Sturzgeburten, zum Teil tödlich, verzeichnet. An den Tulpenfeldern werden bereits ab März Schilder aufgestellt, die ein Betreten untersagen – bisher erfolglos.
Haie wehren sich
Der Ehrgeiz, Follower zu gewinnen, macht auch vor gefährlichen Tieren nicht Halt. Eine Studie in der Zeitschrift „Frontiers in Conversation Science“ kommt im Frühjahr 2025 zu dem Schluss, dass fünf Prozent der Haiattacken bei Französisch-Polynesien auf Selbstverteidigung der Tiere gegenüber Menschen zurückzuführen sind. Hier spielen auch Influencer eine Rolle, die sich für ihre Videos an die Rückenflosse eines Hais klammern oder ihn streicheln. Eric Clua, Studienhauptautor der Pariser Université PSL warnte jedoch in der „Times“, dass die Tiere sich auch bei vermeintlich gut gemeinten Annäherungsversuchen bedroht fühlen können.
Tierrettung für Anfänger
Im Herbst 2024 machte das ZDF in seiner Sendung „Logo!“ auf ein weiteres Phänomen aufmerksam. Die Welttierschutzgesellschaft (WTG) engagiert sich seit mehr als fünf Jahren gegen Tierleid auf Social Media. Sie hatte hunderte Videos analysiert, in denen Tiere gerettet werden. Auf Social Media erfreuen sich diese Videos einer immer größeren Beliebtheit, da sie garantiert Likes bringen. Der Haken: Viele Videos zeigen anscheinend so genannte „Fake Rescues“. Kätzchen und Co. werden hier nicht nur nicht gerettet, sondern für das Video überhaupt erst in eine bedrohliche Situation gebracht. Die Echtheit von Rescue-Videos zu erkennen, erfordert deshalb laut WTG ein genaues Hinschauen. Sie hat eine Petition ins Leben gerufen, um dem Tierleid auf Social Media ein Ende zu setzen.